Prof. Dr. Monika Sokol

Prof. Dr. Monika Sokol

Informations- und Kommunikationswissenschaften
Institut für Translation und Mehrsprachige Kommunikation (ITMK)

Vom Minnesang zum Rap

Was macht guten Rap aus? Warum ist Rap mehr als nur Musik und was sagt er über unsere Gesellschaft? Die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Monika Sokol untersucht Rap und Hip-Hop medienwissenschaftlich und hat über ihre Arbeit das Genre lieben gelernt. Ihr Interesse am Sprechgesang begann eher ungewöhnlich: über mittelalterliche Verse.

Was hat Walther von der Vogelweide mit den Rappern Raekwon und Kool Savas gemeinsam? Sie haben "Flow", sie haben "Skillz" – sie verbindet mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Schon im Mittelalter war Lyrik vor Publikum großes Entertainment. Die Wortkunst von Trobadoren oder deutschen Sangspruchdichtern wie Walther von der Vogelweide galt in Europa als kulturelles Maß der Zeit.

Prof. Dr. Monika SokolSpiel mit Klischees: Kapuzenpullis trägt Prof. Dr. Monika Sokol zwar seltener als früher, dafür hört sie mittlerweile auch privat gerne Rap. (Bild: Costa Belibasakis/FH Köln)

Könige, Herzöge und finanzkräftige Mäzene schätzten die Dichter nicht nur zur Unterhaltung. Ihre Themen reichten von Politik, Religion, Moral und Gesellschaftskritik bis hin zu Satire und Polemik. Dabei attackierten sie auch ihre Konkurrenten. Überliefert sind Dichterfehden und legendären Sängerkriege, wie zum Beispiel der Wartburgkrieg aus dem 13. Jahrhundert. Im Rap nennt man diese Fehden Battle, die Waffen sind die gleichen: Mann misst sich durch seine überlegene Kunstfertigkeit, den "Skillz". Sieger ist, wer mit seinen Zitaten, Bezügen, Wortkreationen, Allegorien und Metaphern das Publikum für sich gewinnt oder seinen Gegner regelrecht sprachlos textet.

Rhetorisch brilliante Wortakrobatik

Um sich davon einen Eindruck zu verschaffen, empfiehlt Monika Sokol das Finale des Films 8 Mile, in dem US-Rapper Eminem seinem Konkurrenten alle Argumente vorwegnimmt und zerpflückt. "Rhetorisch brillant und packend", sei die Passage. Die Professorin an der Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften befasst sich wissenschaftlich mit Rap und Hip-Hop. "Eher unüblich für eine Sprachwissenschaftlerin", sagt sie.

Monika Sokol ist eine Spätberufene. Vor ihrem Studium der Romanistik und Germanistik war sie Buch- und Musikhändlerin und legte nebenbei Platten auf. Rap hörte sie privat kaum, verfolgte aber beruflich den Weg der ehemaligen Undergroundkultur, deren globaler Erfolg nach und nach andere Genres infiltriert und Mode und Filme beeinflusst hat. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung kam später und eher durch Zufall. Als Nachwuchswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Grammatik und Grammatiktheorie war sie die abgehobenen Diskussionen und "Grabenkämpfe um nichts" in ihrer Disziplin oft leid. Aus Frust darüber suchte sie nach einer Alternative.

"Ich brauchte ein Vortragsthema für einen Kongress und erinnerte mich, dass mir als Studentin in einem mediävistischen Seminar einmal etwas aufgefallen war", erzählt sie. "Wir besprachen damals das altspanische Heldenepos El poema del mio Cid. Dessen schriftlich überlieferten Verse gelten von ihrer Reim- und Silbenstruktur her als unregelmäßig. Mir fiel eine Ähnlichkeit mit den Vers- und Assonanzstrukturen im Rap auf. Wie ein Gedicht aufsagen konnte man die altspanischen Verse nicht, rappen aber schon." Das war der Einstieg. Seitdem untersucht Sokol Rap und Hip-Hop diskurstraditionell und medienwissenschaftlich. In der vergleichenden Rap-Forschung hat sie sich etabliert und das Genre inzwischen lieben gelernt.

Provokationen sind immer auch ein Code

Rap lebt von Improvisation und Variation, ähnlich wie die mittelalterliche Dichtung. Das kommt nicht von ungefähr: "Beide gehören zum universellen Bereich der Oratur, der mündlichen und meistens musikalisch untermalten Wortkunst", erzählt Sokol. "Sie ist älter und kulturübergreifender als Literatur." In Westafrika verbreiten die Griots, ihres Zeichens Dichtersänger und Instrumentalisten, Nachrichten, kommentieren sie und unterhalten dabei. In Südamerika gibt es den sprachlich-musikalischen Improvisationswettkampf im Genre La Payada. "Diese Traditionen verbreiten sich oft über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Was dabei passiert, ist eben nicht nur sprachlich faszinierend."

Rapper artikulieren sich kreativ und versiert, aber oft auch derbe und obszön. Ihre sexistischen und gewaltverherrlichenden Texte bewegen immer wieder die Gemüter – in Deutschland zuletzt, als dem Rapper Bushido einen Preis für Integration verliehen wurde. Was auf Außenstehende provozierend wirken soll, ist zusätzlich immer ein interner Code. "Mehrdeutigkeit und Tabubruch gehören zum universellen Repertoire wettbewerbsorientierter Dichtung. Auch jede andere Kunstform muss im Betrachter etwas auslösen. Wenn Bildende Kunst nicht irritiert und die Aufmerksamkeit bannt, hat sie versagt", betont Monika Sokol.

Die im Gangsta-Rap vielbeschworene Realness ist also nicht eindimensional zu verstehen. Weil Gangsta-Rap besonders stark in älteren afroamerikanischen Sprach- und Rollenspieltraditionen verankert ist, "muss jeder, der sich als real Gangsta rühmt, diesen alten Kernbestand beherrschen – ohne dabei unbedingt kriminell sein zu müssen. Dazu gehört das Signifying, das Verwischen der Grenze zwischen Wörtlichkeit und Metapher, Realität und Fiktion." Im Hip Hip-Hop-Englisch stehen Ausdrücke wie to kill und to murder dafür, dass man den Gegner im Wortgefecht besiegt. Der Ausdruck Bitch ist geschlechtsneutral zu verstehen und zielt auf konkurrierende Rapper, die man als Marionetten der Musikindustrie schmäht. Diamanten markieren Coolness, Härte im Battle und Reichtum an Skillz.

Für die einen Bildung, für andere Geld

"Rap-Szenen reagieren auf ihr gesellschaftliches Umfeld und leuchten dessen verdeckte Untergründe aus", sagt Sokol. Im US-Rap stehe materieller Reichtum im Fokus; das Streben danach stelle in der Mehrheitsgesellschaft einen hohen Wert dar. Frankeich sehe sich hingegen als Kulturnation, die französische Sprache und Bildung gelten als Kulturgüter von hohem Wert. "Französische Rapper nehmen dieses Selbstverständnis ins Visier und stellen es auf den Kopf. Ihre Texte sind deshalb intellektuell aufgeladen, rhetorisch geschliffen und mit literarischen Anspielungen gespickt."

Und mit welchem gesellschaftlichen Selbstverständnis spielt der deutsche Rap? Ausgrenzung und das Fremdsein im eigenen Land sind hier genauso Thema wie andernorts auch. Daneben sind aber auch Künstler erfolgreich, die von Rap-Experten eher geschmäht und von der Forschung oft ignoriert werden. Selbst die Fans sehen deren Musik nicht immer als echten Rap. Sokol meint, gerade hier zeige der Sprechgesang aber, was Rap ausmache: "Existentielle Probleme gab es im deutschen Mittelschichtsumfeld seit den 1970er Jahren kaum noch. Wer aber aus diesem Milieu kommt und Teil einer Sub- oder Gegenkultur werden will, muss das Manko seiner Herkunft kompensieren. Rap funktioniert nämlich nur, wenn man wirklich repräsentiert, wovon man spricht."

Es gibt noch Tabuzonen

Warum also nicht diesen fast peinlichen Mangel an Problemen offen legen? Das sorgenfreie und spaßorientierte Jungsein in der deutschen Provinz besprechen? Die kleinen Nöte zum großen Theater aufblähen? Wie so etwas geht, haben die Fantastischen Vier vorgemacht: "Mit ihrem schwäbischen Spaß-Rap waren sie so real, wie man es hierzulande nur sein konnte." Monika Sokol findet, dass die Inszenierung des Rappers Cro bei aller akzeptierten Spaßkultur immer noch Tabuzonen zeige. "Cro firmiert sich unter Raop, der Verbindung aus Rap und Pop. Seine Pandamaske benutzt er, um unerkannt zu bleiben. Er spielt geschickt mit einem sehr deutschen Tabupaket: Harmlos leben wollen, Probleme nur über die Identifikation mit dem traurigen Schicksal niedlicher Tiere haben, so tun, als würde man Rap nicht kapieren und wie Pop behandeln!" Typische Sorgen einer Wohlstandsgesellschaft, die keine anderen Probleme hat.

Für Monika Sokol ist das auch eine Frage der Grammatik. "Sie hält meine Sprach-, Kultur- und Medienwissenschaft im Innersten zusammen. In der Antike war das Grammatikstudium Voraussetzung für alle weiteren Studien. Im Mittelalter wurde sie als grammatica speculativa – als ,spiegelnde Grammatik‘ – sogar zur Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis: Weil sich die Welt im Denken und in der Sprache spiegelt, muss man erst einmal Grammatik betreiben, bevor man sich zum Beispiel an die Naturerkenntnis machen kann. Nur wer die Strukturen der Sprache kennt, kann auch die Strukturiertheit der Welt erkennen."

Text: Monika Probst

Dezember 2014

Prof. Dr. Monika Sokol

Prof. Dr. Monika Sokol

Informations- und Kommunikationswissenschaften
Institut für Translation und Mehrsprachige Kommunikation (ITMK)


M
M